Die Sandalgarve offenbart ihre stille Schönheit und verführt dazu, sich eine Auszeit zu gönnen, das Meer und die intakte Natur zu geniessen und sich von der einzigartigen Atmosphäre authentischer Städte verzaubern zu lassen.
Karin Schmidt

Bizarre Felsformationen mit kleinen, versteckten Sandbuchten, Höhlen und steil ins Meer abfallende Klippen – Klischees, die Urlauber:innen mit der Felsalgarve im Süden Portugals verbinden. Diese Landschaft zwischen dem Cabo de São Vicente und Albufeira ist Ziel der meisten Tourist:innen, die in die südlichste Provinz Portugals am Atlantik reisen. Die Ostalgarve, das Sotavento, ist das Kontrastprogramm dazu: breite, kilometerlange, schier endlose weisse Sandstrände, Laguneninseln und Dünenlandschaften. In der Region, die sich bis an die Grenze Spaniens erstreckt, gibt es zudem eine Reihe authentischer Städte ohne Touristenmassen – zumindest in der Nebensaison.

Ein verborgenes Juwel
Unglaubliche 25 Grad Celsius zeigt das Thermometer im November, selbst für Reiseführer Paulo Palhota aussergewöhnlich: «Normalerweise liegt die Durchschnittstemperatur in den Wintermonaten bei circa 17 Grad.» Mit seinem Reisebüro Farol Discover bietet Paulo Wander- und Trekkingtouren in Portugal an. Wir sitzen auf der Terrasse des Tertulia Algarvia, ein charmantes Lokal im Herzen der Altstadt Faros, das für seine exzellenten Petiscos (kleine Häppchen) bekannt ist. Paolo empfiehlt Muxama, eine regionale Spezialität, die aus Thunfischfilets hergestellt wird. Der intensiv aromatische, leicht salzige Geschmack erinnert mich an luftgetrockneten Schinken, jedoch mit einer unverwechselbaren Meeresnote.
Gut gestärkt schlendern wir durch die engen, kopfsteingepflasterten Gassen der Altstadt, der Cidade Velha, vorbei an traditionellen Häusern, die oft mit Azulejos, bemalten Keramikfliesen, verziert sind. Umschlossen wird das historische Zentrum von Stadtmauern, Zeugen der maurischen Epoche, in dessen Mitte die majestätische Kathedrale Sé thront. Wir passieren kleine Läden, Cafés, Restaurants und Orangenbäume, deren Früchte in der Wintersonne leuchten – eine bittere Sorte, die unberührt bleibt und dennoch das Stadtbild bereichert. Genauso wie die Störche, die sich hier niedergelassen haben und zu einem Wahrzeichen Faros geworden sind. Sie bauen ihre grossen Nester auf Kirchtürmen, alten Ruinen und sogar auf Strassenschildern. In der ehemaligen Taverne Pepa – in der die Muschelsammler und Fischer nach ihren Fahrten einkehrten und ihre Fänge verkauften – befindet sich heute der Faro Story Spot ( farostoryspot.pt). Dort tauchen wir digital in die Geschichte der Stadt ein und erfahren in der rund 30-minütigen Multimedia-Tour viel Wissenswertes über die Hauptstadt der Algarve, ihre Verbindung zur Ria Formosa und die mediterrane Küche.

Die weisse Stadt
Leider kennen viele Besucher:innen Faro nur als Durchreisestation für einen Urlaub an der Algarve und nur einen Bruchteil von ihnen verschlägt es nach Olhão das im Gegensatz zu den anderen Küstenstädten wie Tavira, nicht hauptsächlich von Tourismus lebt. Dafür ist Olhão authentisch, bietet viel Atmosphäre und Stimmung und ist neben Portimão, heute der wichtigste Fischereihafen der Algarve. Geschichte und Gegenwart der 14 000-Einwohner-Stadt sind eng mit der Fischerei und der Fischindustrie verbunden. Seit dem Niedergang der fischverarbeitenden Industrie ist die Arbeitslosenquote hoch. Doch, statt die leerstehenden Konservenfabriken einfach abzureissen, liess die Stadt die Wände entlang der Rua de Fábrica Velha mit Wandmalereien verschönern. Nun erzählen die Murais Geschichten aus vergangenen Tagen.
Die neue Uferpromenade lädt zum Flanieren ein und im Westen Olhãos ist mit der neuen Marina und modernen Apartmenthäusern ein attraktiver Stadtteil entstanden. Doch vor allem die kleine Altstadt mit ihren kubischen, meist weissgetünchten Häusern und die beiden von Gustave Eiffel entworfenen roten Backsteingebäude des städtischen Marktes mit Blick auf die Ria Formosa zählen zu den Highlights der Stadt.

Beschauliches Naturparadies
20 Taxiboot-Minuten entfernt von Olhão zeigt uns Paolo eine völlig andere Welt. Während wir durch die verzweigten Wasserstrassen des Küstennaturparks Ria Formosa gleiten, der sich mit den Gezeiten stets in neuem Gewand präsentiert, wird mir schnell klar, weshalb die Lagunenlandschaft mit ihren Barriereinseln, Sandbänken, Sümpfen und Kanälen zu einem der sieben Naturwunder Portugals gekürt wurde. Seinen Namen «Ria Formosa», was übersetzt so viel heisst wie «schöne Mündung» trägt er zurecht. Dieses empfindliche Ökosystem, ein Labyrinth aus Lagunen und Kanälen, erstreckt sich von Faro bis nach Tavira und ist ein Rückzugsgebiet für eine Vielzahl von Vogelarten und Salzwasserlebewesen. In niederen Gewässerzonen sehen wir die «Mesas», das sind kleine Tische, auf denen Austern in feinmaschigen Netzen liegen. Bei Flut erkennt man die Zuchtnetze an den aus dem Wasser ragenden Stöcken.

Das Glück der Stille
Der Lagune sind sieben Inseln vorgelagert, zu der auch die Ilha Culatra gehört. Nur etwa 700 Menschen leben ganzjährig auf dem langgezogenen Eiland. Seit 1851 weist der 47 Meter hohe Leuchtturm Farol do Cabo de Santa Maria den Schiffen den Weg. Selbstredend ist er das markanteste Bauwerk auf der sonst so flachen Insel. Der westliche Teil der autofreien Insel Culatra wird oftmals auch als Ilha do Farol bezeichnet. Das lässt darauf schliessen, dass es sich früher einmal um zwei eigenständige Inseln gehandelt hat. Unterdessen sind sie zusammengewachsen.
Die kleine Ortschaft Farol besteht aus würfelförmigen Häusern, die mit Ankern, Bojen, Pflanzen und Fundstücken aus dem Meer dekoriert sind. In eines der kleinen, einfachen Häuser dürfen wir einen Blick werfen. «Das Haus gehört meiner Familie», erzählt Paolo. «Als Kind habe ich oft den Sommer hier verbracht.» Und ergänzt wehmütig: «Leider komme ich heute viel zu selten hierher.» Die Häuser dürfen nur innerhalb der Familie weitervererbt werden. Viele von ihnen werden jedoch nur als Zweitwohnsitz genutzt. Neubauten gibt es nicht – und auch keine Hotels.
Wir wandern entlang des mehr als acht Kilometer langen Strandes im Süden der Insel. Der feine Sand knirscht unter meinen Füssen und eine Meeresbrise weht durchs Haar. Trotz sommerlicher Temperaturen treffen wir kaum auf Menschen – nur wenige kennen diese Idylle vor den Toren Faros. Nach einer guten Stunde erreichen wir über einen langen Holzsteg Ilha da Culatra und das gleichnamige Fischerdorf. In einem der Restaurants im Ort geniessen wir fangfrischen Fisch und bekommen einen Einblick in das einfache Leben der Inselbewohner: innen. In dieser Abgeschiedenheit scheint der Alltag meilenweit entfernt.

Ganzheitliche Entspannung
Die Natur in der Algarve ist per se schon Luxus. Wenn mich dann aber noch ein Rückzugsort mit Weitblick ins eigene Sein zurückbringt, eine Umgebung mit grosser Ruhe wartet oder ganzheitliche Gesundheitskonzepte und köstliche Gourmet-Kreationen für holistische Leichtigkeit sorgen, hat man das Tüpfelchen auf dem i gefunden. In meinem Fall heisst es Solar Alvura (solaralvura. com), ein kleines Gesundheits- und Wellnesshotel im portugiesischen Örtchen Moncarapacho, eine halbe Stunde von Faro entfernt. Esel Divo, der sich namensgebend wie eine Diva benimmt, begrüsst neue Gäste jeweils lautstark. Die Ärztin Eva Orsmond hat das einst verfallene Gebäude, das die letzten Jahre unbewohnt war, umgestaltet, renoviert und erneuert – mit 21 Zimmern, einem Restaurant, einem Pool, Dampfbad, Hamam und einem Yoga-Zelt für Kurse im Freien. Der wahrgewordene Traum der berühmten Expertin für Gewichtsabnahme und Diabetes-Behandlung ist ein Rückzugsort mit speziellen Programmen, um Gästen dabei zu helfen, ihre Gesundheits- und Wellnessziele zu erreichen. «Jedes Programm wurde entwickelt, um effektive Ergebnisse zu erzielen, aber ohne radikale Einschränkungen », erklärt die Ärztin. Man kann im Solar Alvura aber einfach nur die Seele baumeln und sich verwöhnen lassen. Der tägliche Sonnenuntergang markiert den Beginn eines wunderschönen Abends. Während der Himmel in dunkle Pfirsichtöne übergeht und das leise Zwitschern der Vögel nachlässt, schweift mein Blick über die vielen Lavendelsträucher, Johannisbrot- und Orangenbäume. Ich bin völlig im Hier und Jetzt angekommen, bis ein «I-aaa» die himmlische Ruhe stört – und Esel Divo Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten fordert.
Weitere Informationen zur Algarve: visitalgarve.pt
1 Kommentar
tolle Gegend