Architektinnen nutzen die gedeihliche Gunst ebenso wie Lebensmittelhersteller: Vertikale Gärten und Farmen kleiden kahle Fassaden in ein wohltuend grünes Gewand – dieses ist dank Zukunftstechnologien sogar essbar.
Daniela Dambach
Karottengrün ragt aus dem Boden, Salatköpfe reihen sich aneinander und Triebe von Zwiebeln spriessen empor so weit das Auge reicht. Wie wäre es, wenn man nicht nach vorne auf weitläufige Felder, sondern in die Höhe blicken würde, um diese Ernte zu erfassen? Vertikale Gärten und Farmen setzen genau dort an: Statt in alle Himmelsrichtungen breitet sich das Grün zum Himmel empor aus. Der Anbau, der in geschlossenen Räumen auf mehreren übereinanderliegenden Etagen erfolgt, ermöglicht eine maximale Produktivität pro Fläche. Ausserdem gedeiht das ökologische OEuvre dank Technologien wie Hydroponik (wasserbasiert) oder Aeroponik (luftbasiert) und LED-Beleuchtung schneller. Zugleich sparen die Verfahren Ressourcen wie Wasser oder fruchtbares Land und machen den Einsatz von Pestiziden gar komplett überflüssig.

Dill von Deck dreizehn
Diese vertikale Virtuosität beherrscht beispielsweise das ETH-Spin-off «Yasai» aus Zürich, das sich mit dem «Vertical Farming»-Pionier GreenState zusammengetan hat. Wie in einem Hochregallager ist das gesunde Gewächs auf 15 Etagen senkrecht angeordnet. Anders als in der «freien Wildbahn» ist hier für das Wachstum von Pfefferminze, Dill oder bald auch Thai-Basilikum nichts dem Zu- bzw. Regenfall überlassen: Dank Nährstoffsteuerung, Beleuchtungssystemen und hohem Automatisierungsgrad, bei der KI ihren «grünen Daumen » im Spiel hat, ist der Ertrag pro Quadratmeter bis zu 200-mal höher als bei der herkömmlichen Kultivierung auf dem Feld. Und dies notabene das ganze Jahr über mitten im urbanen Raum. Auf erdenklich kurzen Transportwege gelangen die aromatischen Kräuter in den Detailhandel.
Himmelwärts ins Kraut schiessen
Den Wolken entgegenzugärtnern bietet zudem sowohl einen ökologischen wie architektonischen Mehrwert. So staunt man mehr und mehr über Pflanzen, die wand- oder bodengebunden Fassaden entlangklettern: Kahle Betonbauten verwandeln sich dadurch in «lebende Wände», die als Mikrokosmos viele Vorteile mit sich bringen, wie etwa die Biodiversität fördern, als natürliche «Klimaanlage» wirken sowie Schmutzpartikel aus der Luft filtern.
Die senkrechte Stadtbegrünung ist nicht etwa eine Knospe der jüngsten Gegenwart: Sie geht auf den französischen Gartenkünstler und Botaniker Patrick Blanc zurück, der 1982 seinen ersten vertikalen Garten kreierte und sein Verfahren 1988 zum Patent anmeldete. Seine üppigen Kunstwerke blühen in Grossstadtdschungeln von Berlin über Paris bis Kuala Lumpur.

Selbstgemachte Salat-Skyline
Wer nicht das Privileg hat, in einer «wolkenhohen Wildnis» zu wohnen, kann die grüne Oase auch im Kleinen anlegen. Die DIY-Varianten bestehen beispielsweise aus hängenden Pflanzentaschen, Paletten-Regalen oder schwebenden aufgeschnittenen Rohren, aus denen Kräuter, Blüten oder kleine Gemüsesorten spriessen. Weiter gibt es modulare Hightech-Systeme für die «hängenden Gärten», mit denen sich auch im Innenbereich ganze Wände als lebendige (Augen-)Weiden gestalten lassen. Kreuchen in der Küche und Fleuchen im Flur sorgen für mehr Wohlbefinden und Ruhe, sodass man «das Gras wachsen hört»: Pflanzen dämpfen den Schall, was unter anderem die Konzentration steigert. Dank dieser guten Eigenschaften für Kopf, Körper und Klima vegetieren Farne, Gräser und Moose vermehrt in die Vertikale: Mit dem Beitrag, den vertikale Gärten zu komfortablen Stuben und klimaneutralen Städten leisten, liegen sie auf der Höhe der Zeit.